Hagenow – Zum dritten Mal öffnete die evangelische Stadtkirche Hagenow ihre Türen für einen außergewöhnlichen „Schlagergottesdienst“. Das Ergebnis war ein voller Erfolg: Rund 250 Besucher strömten in die Kirche, um gemeinsam bekannte Schlager von Roland Kaiser bis Hildegard Knef zu singen, zu schunkeln und sogar auf der Empore zu tanzen. Ein Konzept, das beweist: Kirche kann auch Spaß machen!
„Kirche darf auch Spaß machen“: Das ungewöhnliche Erfolgsrezept
Die Idee hinter dem Schlagergottesdienst ist so einfach wie genial: Kirche neu erlebbar machen, Hemmschwellen abbauen und Menschen erreichen, die traditionellen Gottesdiensten fernbleiben. Sabine Schümann, Pröpstin der Propstei Parchim und eine der Hauptorganisatorinnen, bringt es auf den Punkt: „Kirche darf auch Spaß machen.“ Gemeinsam mit dem Hagenower Kantor Stefan Reißig und dessen Schwester, der Sängerin Stefanie Reißig, hat sie das innovative Format ins Leben gerufen, das nun bereits zum dritten Mal so erfolgreich war.
Für die drei Organisatoren besteht kein Widerspruch zwischen moderner Musik und der Kirche. Im Gegenteil, sie sehen in Schlagern eine tiefe Verbindung zu den existentiellen Fragen des menschlichen Lebens. „In Schlagern werden die Dinge thematisiert, die für das menschliche Leben existenziell sind, beispielsweise Liebe, Beziehung, Sehnsucht oder auch Angst, Verlust und Trauer“, erklärt Pröpstin Schümann. Sie argumentiert, dass diese Musikstücke universelle Themen behandeln, die jeden Menschen berühren.
Darüber hinaus haben bekannte Schlager für viele Menschen eine besondere emotionale Bedeutung. Sie sind oft mit wichtigen Lebensphasen und Träumen verknüpft, rufen Erinnerungen wach und fassen diese großen Themen in Worte, die jeder versteht. Diese Zugänglichkeit und die emotionale Tiefe der Texte machen Schlager zu einem idealen Medium, um eine Brücke zwischen Alltag und Glaube zu schlagen. Anstatt trockener Predigten und traditioneller Kirchenlieder, die für manche befremdlich wirken mögen, bieten Schlager eine vertraute und oft nostalgische Verbindung, die zum Nachdenken und Fühlen anregt.
Die Atmosphäre in der Kirche war dementsprechend einzigartig. Das Mitsingen, Schunkeln und sogar Tanzen auf der Empore war nicht nur erlaubt, sondern explizit erwünscht. Dies schuf eine lockere und fröhliche Stimmung, die sich deutlich von einem herkömmlichen Gottesdienst abhob. Die Besucher, viele davon eher selten in der Kirche, ließen sich von der Energie mitreißen und genossen die ungewohnte Art der Andacht. Nach dem Gottesdienst gab es zudem die Möglichkeit, bei Getränken und Snacks miteinander ins Gespräch zu kommen, was die Gemeinschaft weiter stärkte und den informellen Charakter der Veranstaltung unterstrich.
Thema Träume: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ und die Selbstfürsorge
Der dritte Schlagergottesdienst stand unter dem treffenden Motto „Für mich…“. Dieses Motto wurde inspiriert durch den bekannten Schlager von Hildegard Knef „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. Dieses Lied, so Sabine Schümann, beschreibt auf wunderbare Weise das, was heute allgemein als Selbstfürsorge bezeichnet wird – die Fähigkeit, sich selbst etwas Gutes zu tun und die eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Es geht darum, sich Träume zu erlauben und das Leben in vollen Zügen zu genießen.
Genau dieses Thema – Träume, denn die hat jeder – zog sich wie ein roter Faden durch den gesamten Gottesdienst. Die ausgewählten Schlager thematisierten Sehnsüchte, Hoffnungen, aber auch die Herausforderungen, die das Leben bereithält. Die Kombination aus vertrauten Melodien und tiefgründigen Texten ermöglichte es den Besuchern, auf persönliche Weise über ihre eigenen Träume nachzudenken und diese im Kontext des Glaubens zu betrachten. Es war eine Einladung, die eigene Seele baumeln zu lassen und sich der positiven Botschaft der Musik zu öffnen.
Der Erfolg des Schlagergottesdienstes zeigte sich nicht nur in der hohen Besucherzahl, sondern auch in einem tiefergehenden Effekt: Er lockte viele Menschen in die Kirche, die sich normalerweise eher selten in einem Gottesdienst einfinden. Doch nicht nur das: Er begann auch einen Perspektivwechsel für die Gemeindemitglieder der Stadtkirche. Sie erlebten ihre Kirche in einem neuen Licht und sahen, dass Tradition und Innovation Hand in Hand gehen können.
Die Stadtkirche dreht die Bänke um: Ein neuer Blickwinkel für Glauben und Gemeinschaft
Dieser Perspektivwechsel wurde auch physisch untermauert, wie Kantor Stefan Reißig berichtet: „Wir haben die Blickrichtung in unserer Kirche geändert, alle Bänke umgedreht und den Altar umgebaut.“ Eine radikale Veränderung der gewohnten Anordnung, die den Raum völlig neu erlebbar machte. Wo sonst die Blicke starr nach vorne gerichtet waren, entstand nun eine offenere und gemeinschaftlichere Atmosphäre. Die Besucher saßen sich teils gegenüber, was den Dialog und die Interaktion förderte.
Diese zeitweilige Neuordnung der Kirche soll für insgesamt vier Wochen bestehen bleiben. Damit soll nicht nur ein praktischer, sondern auch ein übertragener gedanklicher Raum für einen neuen Blick auf die Kirche geschaffen werden, wie Pastor Thomas Robatzek deutlich macht. Es ist eine Einladung an die Gemeindemitglieder, ihre gewohnten Denkmuster zu hinterfragen und sich für neue Formen des Gottesdienstes und der Gemeinschaft zu öffnen. Die veränderte Raumgestaltung soll dazu anregen, über die Rolle der Kirche in der modernen Gesellschaft nachzudenken und neue Wege der Begegnung und des Glaubens zu entdecken.
Interessanterweise war den Besuchern des Schlagergottesdienstes die neue Anordnung größtenteils nicht aufgefallen. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Musik, die Atmosphäre und das Gemeinschaftserlebnis so dominierend waren, dass die physische Umgebung in den Hintergrund trat. Doch die Veranstaltung selbst hat ihnen gut gefallen. Eine Besucherin, die sonst eher nicht in die Kirche geht, fasst ihre Eindrücke zusammen: „Ich fand die Kombination von den Schlagern und den kirchlichen Elementen gut, zum Beispiel konnte man zwischendurch eine Kerze anzünden, das hat mir sehr gut gefallen.“ Diese Aussage bestätigt den Erfolg des Konzepts: Es schafft eine zugängliche und einladende Atmosphäre, die es auch kirchenferneren Menschen ermöglicht, spirituelle Erfahrungen zu machen und sich in einem kirchlichen Rahmen wohlzufühlen.
Der Schlagergottesdienst in Hagenow ist somit mehr als nur eine musikalische Veranstaltung. Er ist ein mutiges Experiment, das zeigt, wie Kirchenräume zu Orten der Freude, der Gemeinschaft und des modernen Glaubensverständnisses werden können, ohne ihre traditionellen Wurzeln zu verlieren. Er verbindet Generationen, bricht mit Konventionen und beweist, dass Kirche auch im 21. Jahrhundert relevant und ansprechend sein kann – besonders wenn sie bereit ist, sich auf neue Töne einzulassen.